Die Ärztin
Von Robert Icke / sehr frei nach "Professor Bernhardi" von Arthur Schnitzler
Eine minderjährige Patientin liegt nach einem heimlich durchgeführten Abtreibungsversuch im Sterben. Da ihre Akte keinen Hinweis auf ihre Religion enthält und ihre Eltern nicht erreichbar sind, verweigert Dr. Ruth Wolff dem katholischen Priester den Zutritt zu dem jungen Mädchen. Sie stirbt alleine, ohne religiösen Beistand.
Dieser Vorfall weitet sich zu einem Skandal aus, zunächst intern. Als dieser durch die Sozialen Medien die Öffentlichkeit erreicht, steht nicht nur die berufliche Zukunft der jüdischen Ärztin Ruth auf dem Spiel, sondern auch der Ruf der renommierten Alzheimer-Klinik, deren Leiterin sie ist. Ihre rigorose Haltung gegen den katholischen Priester löst antisemitische und frauenfeindliche Reaktionen aus. Zugleich ist der Priester ein Schwarzer Mann, der sich von der Ärztin diskriminiert fühlt. Ruth sieht sich einer Öffentlichkeit ausgesetzt, die die komplexen Zusammenhänge von medizinischer Ethik, ökonomischem Druck, Identitäts- und sozialen Fragen zu einem toxischen Diskurs werden lässt. Der mediale Shitstorm ist laut und unversöhnlich, doch Ruth spielt das Spiel der politischen Korrektheit und die Rituale der Reue nicht mit. In einer Talkshow unternimmt sie einen letzten Versuch, ihr Gesicht zu wahren und ihren Ruf zu rehabilitieren. Doch sie verkennt die Brisanz und Heftigkeit der Debatten, in die sie sich verstrickt.
Der britische Dramatiker Robert Icke verwandelt Schnitzlers „Professor Bernhardi“ in einen Moralthriller von heute. „‚Die Ärztin‘ ist wie eine Operation am offenen Herzen unserer Gegenwart, die immer komplizierter wird, je tiefer man schneidet.“ (The Times)
“Der britische Autor ist für seine radikalen Aktualisierungen bekannt. Wenn es gut geht, kommt dabei scharfsinnige Gesellschaftskritik heraus. Und in Konstanz geht es verdammt gut. (…) Fast dreieinhalb Stunden ziehen ins Land, keine Minute davon ist zu viel. Wann hat man schon die Konflikte unserer Zeit so böse, so wahrhaftig, so komisch, so tragisch gespiegelt gesehen? Mit dem nahezu genial zwischen intimem Klinikalltag und öffentlichem Studio oszillierenden Bühnenbild erschafft Regisseurin Franziska Autzen einen beeindruckenden Rahmen. Die Schauspieler werfen sich lustvoll ins Fahrt aufnehmende Empörungskarussell.” Johannes Bruggaier, Südkurier Online 24.9.23, Südkurier 25.9.23
“Das Stück ist mittendrin in unserer Zeit gelandet, in der immer der/die Gegner/in wird, der/die nicht unserer Meinung ist. Ein Volltreffer, der da sogar als „Soundtrack“ mit virtuoser Elektromusik von Chris Lüers und Seelenhammern wie Leonard Cohens „You want it darker“ oder London Grammars „Strong“ den Schmerz an dieser Welt ins Publikum hineinspült, von einer sprichwörtlich antiseptischen Bühne (Ute Radler) herunter. Und die Frage bleibt: Werden wir lernen zu verstehen, was wichtig ist?”
Oliver Fiedler, Wochenblatt singen Online, 26.9.23
“Intensives Drama über Moral und Mobbing. Das Theater Konstanz dekliniert im Debattenstück „Die Ärztin“ gewichtige Fragen von Religion, Rassismus und Gender durch. …Anna Eger spielt die Ärztin mit grosser Sensibilität……Berührend die Schlussszene zwischen Ärztin und Priester. Endlich hören sie sich zu, endlich hört sich überhaupt jemand an diesem Abend zu.”
Julia Nehmiz, Thurgauer Zeitung, 25.9.2023
Franziska Autzen und ihrem Konstanzer Ensemble gelingt es, die Dynamiken des menschlichen Mit- und Gegeneinanders authentisch und pointiert abzubilden. Besonders eindrücklich wird dies in den Direktoriumssitzungen des Alzheimer-Instituts, an dem die Ärztin arbeitet.
… Anna Eger performt jedenfalls durchwegs eine spannende Gratwanderung zwischen der möglichst sachlichen, erfahrenen Ärztin, die sich auch mal zu zynischen Äusserungen («Manchmal behandeln Ärzte Patienten.») hinreissen lässt, und der Privatperson Ruth, die gefühlvoll, empfindsam und verletzlich ist. Franziska Spanner, Saiten St.Gallen, 4.10.2023
Am Theater Konstanz sucht Regisseurin Franziska Autzen die Menschen hinter den ethischen Debatten, die der Theaterautor und Regisseur verhandeln lässt. … Bühnenbildnerin Ute Radler hat einen Raum geschaffen, der Assoziationen zulässt. Der Raum, den sie mit Quadern klar strukturiert, lässt sich vom Flur eines Krankenhauses in einen Gerichtssaal verwandeln. … Als der Fall immer höhere Wellen schlägt, gelingt Anna Eger das Kunststück, ihre Figur nicht zum Opfer zu machen. Die jüdische Medizinerin, der ihre Karriere über alles ging, kämpft zwar um ihre Position. Doch vor allem entlarvt Robert Icke in den Diskursen, von denen der Text über weite Strecken geprägt ist, die Falschheit einer Gesellschaft, in der Rassismus und Menschenhass an der Tagesordnung sind. Da schrammt der britische Autor gefährlich nah am langatmigen Debatten-Theater vorbei. Diese Gefahr umschifft Anna Eger, indem sie die menschliche Seite ihrer Figur zeigt. … Wunderschön sind die Augenblicke der Liebe, die sich zwischen Ruth und Charlie entspinnen. Verführerisch fällt Katrin Huke aus der Rolle, wenn ihr Gedächtnis versagt. Dadurch gewinnt die Inszenierung Leichtigkeit zurück. Einen Traumraum erschafft Chris Lüers zauberhafte Bühnenmusik. … Dass rassistisches Denken noch immer so präsent ist wie in Zeiten von Arthur Schnitzlers „Professor Bernhardi“ vor mehr als hundert Jahren, ist eine der erschreckenden Botschaften des Texts. So entlarvt Icke die Doppelmoral einer Gesellschaft, die noch immer nichts gelernt hat.
Elisabeth Maier, Theater der Zeit Online, 13.10.2023
Autor: Robert Icke
Regie: Franziska Autzen
Bühne: Ute Radler
Kostüme: Benjamin Burgunder
Musik: Chris Lüers
Dramaturgie: Meike Sasse
Dramaturgieassistenz: Lea Seiz
Regieassistenz: Chiara Hunski
Ausstattungsassistenz: Elena Wittbusch & Evelyn Gulbinski
Inspizienz: Nicole Greue
Regiehospitanz: Leyla Güzelhan
Mit: Anna Eger, Katrin Huke, Leonard Meschter, Ramsès Alfa, Ingo Biermann, Ulrich Hoppe, Julian Mantaj, Luise Harder, Patrick O.Beck, Jana Alexia Rödiger
Weitere Informationen und laufende Vorstellungstermine:
https://theaterkonstanz.de/programm/stueckeseiten/stueckeseiten+2023_24/die+aerztin