Der ideale Staat in mir
von Bettina Erasmy
Deutsche Erstaufführung
Ein Influencer schwingt sich zum „Führer“ der Gesellschaft auf – in einer Welt, die offenbar zerstört oder doch zumindest nahe dem totalen Zerfall ist. Der Influencer fantasiert von einer „allgemein akzeptierten Wohlfühlordnung“ und meint, dazu berufen zu sein, „was Starkes, Strahlendes“ aufzubauen. Seine aus alten Denkweisen und neuen Vereinfachungen zusammengeschusterte Ideologie verherrlicht ein gefährliches Schwarz-Weiß-Denken. Und er hat Erfolg. Zwar agiert der Influencer aus der totalen Isolation heraus, er spielt aber gekonnt auf der Klaviatur politischer Meinungsmache: Seine Mittel sind die Social-Media-Kanäle, das allumfassende Internet. In kürzester Zeit hat er Millionen Follower: eine politisierte anonyme Masse, die in ihm einen Erlöser von der allgegenwärtigen Bedrohung sieht. Scheinbar nach Belieben kann er gewaltsame Aufstände und Umstürze auslösen. Doch irgendwann kippt es. Irgendwann meldet sich die Natur zu Wort. Sie ist schwer angeschlagen, fast komplett ausgebeutet und von den fortschrittsgläubigen Menschen arg missbraucht. Dennoch hängt sie an den Menschen. „Vielleicht habe ich in meiner Karriere als Natur den Fehler begangen, zu viel Seele in meine Arbeit zu legen?“ Eine andere Frage drängt sich ihr noch stärker auf: Ginge es nicht vielleicht auch ohne die Spezies Mensch? Wäre sie, die Natur, dann nicht immer noch da?
Bettina Erasmys DER IDEALE STAAT IN MIR zielt auf hoch aktuelle Zustände und Debatten ab. Was passiert, wenn im Schatten der medialen Anonymität Meinungen, Ideologien oder populistische Meinungsäußerungen Raum greifen und ohne Widerspruch bleiben?
Autorin: Bettina Erasmy
Regie: Franziska Autzen
Dramaturgie: Hilke Bultmann
Bühne, Kostüm, Musik, Video: Franziska Autzen
Technische Zeichnung Bühne: Ute Radler
Influencer Yves Dudziak
Natur (im Video) Pourya Pour
@Chats (Stimmen) Yohanna Schwertfeger, Mirco Kreibich, Adriana Salles, Süheyla Ünlü, André Szymanski, Joyce Sanhá, Sven Schelker, Tabita Johannes
Im ausverkauften Publikum saß auch die Autorin Bettina Erasmy. Für Lüneburg inszeniert hat das Stück Franziska Autzen. Yves Dudziak spielt diesen Berufenen, diesen Auserwählten, der sein Publikum – sowohl jenes im Theater als auch das virtuelle vor den Bildschirmen – für sich gewinnt, der uns den „Notausgang“ zeigen will, denn die Natur steuert auf die finale Katastrophe zu. (…) Er, der Influencer, steigt durch den kreisrunden Rahmen des Spiegels zu uns Irdischen hinab, lässt sich feiern, posiert als Rockstar und Retter. Währenddessen sinniert die Natur – in Videoszenen von Pourya Pour dargestellt – über all die eindeutigen Zeichen, die sie den Menschen bis heute gesendet hat: Sintfluten, Plagen, die Leere im Ozonloch. Doch offenbar wurden die Zeichen nicht erkannt. (…) Dudziak nimmt sein Publikum mit auf diese transzendentale Reise in sein Ich. (…) Am Ende ist sie noch da, die Natur, arg ramponiert und nahezu leblos. (…) Der Spiegel wird uns vorgehalten: Ja, Geschichte wiederholt sich. Ja, der Mensch zerstört sich als Teil der Natur selbst. Und ja, er folgt gerne einem „Führer“. Wahrscheinlich in den nächsten, womöglich letzten Untergang?
Landeszeitung Lüneburg
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